Der Gründungsrektor der PH Luzern blickt zurück. Hans-Rudolf Schärer beschreibt im dreiteiligen Interview unter anderem, welche politischen Umstände bei der Entstehung der Hochschule überwunden werden mussten, wie finanzielle Schwierigkeiten gemeistert werden konnten und wie sich die Lehrerinnen- und Lehrerbildung in den vergangenen 20 Jahren entwickelte.
Teil II
Im Buch «Räsonieren und Resonieren» bezeichnest du in deinen Gesprächen mit Wegbegleiterinnen und Wegbegleitern die 90er Jahre als besonders gute Phase…
Hans-Rudolf Schärer: Es herrschte in jener Zeit ein bemerkenswerter kultureller und bildungspolitischer Pioniergeist in Luzern. Damals entstanden das KKL, die Sammlung Rosengart, die Universität, die Fachhochschule und die Pädagogische Hochschule. In der Volksschule setzte das Projekt «Schulen mit Profil» neue Massstäbe. Die Amtszeit von Brigitte Mürner als Bildungs- und Kulturdirektorin war überaus innovativ.
Wie sah der Führungsalltag an der PH Luzern aus? In der Wirtschaft herrscht die Meinung vor, dass Verantwortung nicht geteilt werden soll.
Schärer: Ich kenne diese Haltung. Ihr gemäss sind Entscheidungen umso besser, je klarer und steiler die Hierarchien sind, auf denen sie beruhen. Ich kann nur sagen, dass ich in wesentlichen Fragen andere Erfahrungen gemacht habe, auch wenn, wie ich gewissermassen in Klammern anfügen möchte, unbestritten ist, dass bei erheblichen Konflikten in der Institution oder in strategischen und finanziellen Fragen die Letztverantwortung auf der obersten Führungsebene liegt. Ich habe gegenüber den Vorstellungen einer Macht-, einer Personen- oder einer Rollenkultur immer das Modell einer Aufgabenkultur vertreten. Im Zentrum dieses Modells steht die gemeinsame Lösung gemeinsamer Aufgaben – ganz im Sinn von Dürrenmatts Diktum, dass, was alle angeht, auch nur alle lösen können; dabei spielt die hierarchische Position der Mitarbeitenden, von denen Lösungsvorschläge kommen, keine Rolle. Voraussetzungen einer Aufgabenkultur sind aber Vertrauen und Zutrauen.
Das kann aber auch missbraucht werden; Vertrauen allein ist keine Erfolgsgarantie.
Schärer: Das stimmt, und das habe ich vereinzelt auch erlebt. Aber viel häufiger haben sich Vertrauen und Zutrauen gelohnt. Nur auf dieser Basis lässt sich der von mir immer wieder zitierte Grundsatz von Jürgen Habermas umsetzen, wonach der «zwanglose Zwang des stärkeren Arguments» bei der Entscheidfindung so weit als möglich ausschlaggebend sein soll.
Typische Journalistenfrage bei einem Gespräch zu einem Jubiläum: Gibt es ein Ereignis oder ein Projekt, das dir besonders in Erinnerung geblieben ist?
Schärer: Es gab in der Entstehung der PH Luzern eine besondere Phase im Jahr 2004. Die PH Luzern hatte vor kurzem ihren Betrieb aufgenommen und nun galt es, die konkrete Weiterentwicklung ins Auge zu fassen. Also führten wir unter der Leitung von Beat Bucher in der «Schüür» eine «Zukunftswerkstatt» durch. Für mich war das ein Schlüsselerlebnis. Man konnte in vivo erleben, wie ein Projekt weitergebracht wird. Alle Mitarbeitenden waren dabei und leisteten einen Beitrag dazu. Ein weiteres Schlüsselerlebnis war der fulminante Vortrag des Erziehungswissenschaftlers Thomas Ziehe über die «Stilistik des Lehrens» mit den drei Dimensionen Fachkundigkeit, Zugewandtheit und Gelassenheit. Gemeinsam war beiden Schlüsselerlebnissen, dass es – nach schier endlosen Diskussionen um Strukturen – endlich um Inhalte ging. Projekte, die mir stets wichtig waren, sind die Veranstaltungen rund um die Menschenrechtsbildung, die Aufführungen im Rahmen der Theaterpädagogik, die Chorkonzerte, die GelBe-Projekte von Studierenden mit Kindern mit interkulturellem Hintergrund. Auch sind mir einige Diplomreden unvergesslich, für die wir immer wieder auch Schriftstellerinnen und Schriftsteller angefragt haben, etwa Erwin Koch, Hanna Johansen oder Lukas Bärfuss, um einige zu nennen.